Liebevoll nennen sie es "mein.lychen": Die Brüder Konrad und Frieder Niemann, die beiden Betreiber des Bed & Breakfast, haben ein Haus etwa 100 Kilometer nördlich von Berlin im kleinen Ort Lychen grundsaniert. Es liegt inmitten der sieben Seen rund um Lychen. Beide haben viel von ihrem Leben hineingetan und es kann dem Haus mit Recht das ganz Persönliche bescheinigt werden. Dieses ehrlich "Persönliche" kann - nein - muss man sehen, bei einem Streifzug durch das B&B. Hier haben Konrad und Frieder eine Dependance ihres Herzens und auch ihrer ganz persönlichen Geschichte geschaffen. Die beiden sind um die zwei Meter groß, was zunächst den Anschein erweckt, dass das Haus ihnen nicht gerade auf dem Leib geschneidert ist. Zumindest Frieder muss sich bücken, will er unter den zwei Meter hohen Türrahmen durch. Aber das nur am Rande.
Bei genauerer Betrachtung ist das Haus voller Geschichten der beiden Brüder, die stil- und geschmackssicher jedes Zimmer und das ganze Haus eingerichtet haben – mehr dazu später.
Aber auch die Wohnerfahrung dieses "Bed & Breakfast", das an ein Boutique-Hotel erinnert, ist eine andere, eine besondere. Das ist deutlich zu merken beim Frühstück: Es ist nicht wie fast überall an einem Buffet abrufbar, sondern die Gäste sitzen zusammen an einer großen Tafel; sofern sie aus den nur sechs Zimmern des Hauses zur selben Zeit kommen sollten. "Zunächst ist dieses gemeinsame Tafeln mit Unbekannten ein ungewohntes Erlebnis in diesen Breiten", weiß der erfahrene frühere Hotelmanager Frieder Niemann zu berichten, der hier in Lychen seinen Traum von einem Bed & Breakfast verwirklichen konnte. "Aber das vielleicht hierzulande im Norden Befremdliche weicht schnell und es entsteht etwas Neues am langen Tisch, was auch sehr von den Persönlichkeiten abhängt, die hier gerade tafeln", sagt Frieder. Es seien hier schon Freundschaften geschlossen worden, es sei aber auch möglich, einfach für sich zu sein, lächelt er.
Nun stehen Basics wie Brot und Wurst und Käse auf dem Tisch, aber serviert wird in drei Gängen frisch und persönlich: wie man es aus einem privaten Bed & Breakfast irgendwo in England gewohnt ist, wenn die Landlady (oder immer öfter auch der Landlord) das Frühstück bereitet… Und das jeden Tag anders: Auf Früchte - regional aus der Uckermark - und Müsli können beispielsweise Variationen von Eierspeisen folgen, den Abschluss kann ein frisches Croissant mit hausgemachter Marmelade bilden. Dazu Produkte aus einer brandenburgischen Käserei. Abwechselung bleibt, denn es kann auch ganz anders kommen.
Jetzt haben wir uns beim Frühstück verloren, hatten wir es doch eigentlich vom Wohnerlebnis, der Wohnerfahrung. Die sechs Zimmer haben allesamt starken Bezug auf die beiden Eigentümer des Hauses, was deren Namen und Ausstattung angeht. Sie haben verheißungsvolle Bezeichnungen wie Transsilvanien oder Mitteldeutschland. Aber auch Indien, Schweiz, Afrika oder Amerika. Alles Aufenthaltsorte, der beiden Brüder, alles Teile ihres Lebens. Aber davon unabhängig auch aufeinander abgestimmte Ensembles von Einrichtungsgegenständen, die an diese Länder erinnern.
Ein Großteil des Mobiliars stammt aus aufgearbeiteten Möbeln des Familienbesitzes. Die Zimmer sind Orten zugeordnet, die die vielreisenden Konrad und Frieder oft einige Jahre lang bewohnten. Mitbringsel von damals ebenso wie Neues oder Aufbereitetes aus der Gegenwart bilden die thematisch gelungene Klammer um die Themenzimmer.
So wie die Entdeckung der Orte, die sich in den Zimmernamen niederschlagen und an Lebensstationen der mein.lychen -Eigner erinnern, so wurde auch das Haus am Wasser entdeckt: Durch Lebensumstände wie sie sich zutragen. Frieder Niemann frönte vor einigen Jahren seinem Hobby, der Paddelei. Er ließ sein Boot in einen der sieben Seen zu Wasser, die den kleinen Ort Lychen umgeben. Zufällig paddelte er an dem Haus mit eigener Anlegestelle vorbei und sah dabei, dass es zu kaufen war. Sein Bruder Konrad war ebenfalls begeistert und stieg mit ein in den für ihn neuen Ausflug in die Hotellerie. In seinem Arbeitsleben war er in leitenden Funktionen als Jurist in Banken tätig. Nach langer Umbauzeit mit zahlreichen "Überraschungen" materialisierte sich der Lebenstraum, das B&B mein.lychen, schließlich im Juni 2016.
Die Entdeckung über den Wasserweg ist fast natürlich für das wasserreiche Lychen. In seiner Geschichte bildete das Wasser die wirtschaftliche Grundlage des Ortes, der sich heute "Internationale Flößerstadt" nennen darf. Hier transportierten die Einwohner aus der waldreichen Gegend das Holz zur Weiterverarbeitung an andere Orte – meist Sägewerke - auf dem Wasser. Sie banden dazu die Stämme zusammen und ritten sozusagen die Ware an Ihren Bestimmungsort. Die nicht ungefährliche Floßfahrt wurde zum Haupterwerb der Einwohner, die Ihren Rohstoff Holz auf diese Weise verschifften. Ein Flößermuseum erinnert an diese Tradition.
In den siebziger Jahren endete diese Art von Broterwerb, aber noch heute können Touristen an Floßfahrten rund um Lychen teilnehmen. In der Gegenwart geht es allerdings eher um die romantische Seite der Flößertradition. Mit Glück kann man den Fischadler beobachten oder ehemalige Flößer erklären das Leben auf, im und am See.
Der Spaziergang durch das kleine 3400 Einwohner zählende Lychen führt aufgrund der sieben Seen eigentlich fast immer am Wasser entlang. Die 11.000 Hektar große Gemeinde besteht daher auch fast nur aus Wald und den sieben Seen. Das Pausieren lohnt sich in der Mühlenwirtschaft, die am Mühlenbach gelegen ist. Er verbindet zwei Seen mit einer kleinen Schleuse. Um mit den Paddelbooten von einem zum anderen See zu gelangen, ist neben der kleinen Staustufe ein Gang durch den alten Mühlenbau mit Rollen unterlegt, über die der Bootswanderer sein Paddelgefährt leichtgängig ziehen kann.
Wieder zurück am Haus kann sich der am Naturerlebnis labende Gast in den riesigen Garten des B&B setzen. Oder bei nicht so günstigem Wetter entweder das Zimmer oder den Balkon mit Wasserblick genießen. Mehr noch ist möglich: Sich den "öffentlichen" Raum des Hauses erobern, sich in die Sitzgelegenheiten vor einem aufgeklappten Schrankkoffer setzen, der ihm Weine und zahlreiche Spirituosen offeriert. Und in der Küche gibt es stets frischen Kaffee.
Wer größere Familienfeste plant oder mit Freunden ein paar Tage aus dem Alltag entfliehen möchte, kann mein.lychen auch komplett mieten. Bis zu 16 Gäste finden hier Platz. Von November bis März ist mein.lychen ausschließlich für die Komplettvermietung vorgesehen.
In welchem Kontext auch immer - die beiden Brüder Konrad und Frieder geben mein.lychen einen familiären aber gleichzeitig professionellen Rahmen, der zum Wohlfühlen einlädt.
selected places. mein.lychen in der Uckermark
Text & Fotos: Felix Holland | felixholland.de