Ein Tag auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein im Dreiländereck Deutschland, Schweiz und Frankreich

Vorhang auf für die Fabrikhalle

Der Vitra-Campus hält manch magische architektonische Überraschungen der Sinne vor

„Fabrikhallen ansehen“, das ist keineswegs ein sonderbares Vorhaben. Zumindest nicht im kleinen Städtchen Weil am Rhein, im Südwesten hinter Freiburg und kurz vor Basel im Markgräfler Land. Wer das auf dem Betriebsgelände des Möbelherstellers Vitra tun will, wird manche magische Überraschung erleben. Beispielsweise eine Produktionshalle hinter einem Vorhang erleben oder einem Feuerwehrgebäude begegnen, das einem Schiff gleicht und den Betrachter darin sogar schwindelig macht... Gemeint sind also weniger die Freunde des morbiden Charmes mancher Nutzgebäude, von denen wir ebenfalls hier in anderem Zusammenhang, berichten werden.

Unerwartete Eleganz

Nein, das bezaubernde an den Werkshallen auf dem Vitra-Gelände ist die unerwartete Eleganz, die verspielten Accessoires der Gebäude, die sie zu charmanten Anziehungspunkten aller interessierten Menschen am Schönen und Spannungsreichen dieser Welt macht. Also ideal auch für selected places. Leser! 

So die vom japanischen Architektenbüro SANAA (Kazuyo Sejima und Ryūe Nishizawa) entworfene Logistik- und Produktionshalle, die sich scheinbar hinter einem überdimensionalen, aber leicht wirkenden Vorhang verbirgt. Dahinter verschwinden in schmalen Nischen LKWs zum Be- und Entladen. Der etwa ein Dutzend Meter hohe „Vorhang“ kann sich allerdings nicht durch Luftzug bewegen, kann auch nicht – wie in einem Theater gleich – zur Seite gezogen werden. Die Verkleidung der aus Sichtbeton bestehenden tragenden 20.000 Quadratmeter umbauten ovalen zweiteiligen  Gebäudehülle ist transparentes weiß, veredeltes Plexiglas mit nur dünnen 6 Millimetern Stärke. Die Leichtigkeit bleibt auf diese Weise erhalten und wirkt so wie ein kunstvoll verpacktes Gebäude. Assoziationen an Christo sind nicht fern.

Architektonische Unikate

Das ist nur eines von vielen architektonischen Unikaten, die auf dem Vitra Campus zu finden sind. Für die Öffentlichkeit ist nur ein Teil direkt zugänglich, in einer mehrfach am Tag angebotenen Architekturführung allerdings können Besucher sich selbst den Produktionshallen auf Tuchfühlung nähern.

Den Ersteindruck vom Vitra Campus beherrschen jedoch Frank O. Gehrys Bauten am Rande des Geländes: Die Pläne des Vitra Museums und eine der Produktionshallen sind unverkennbar aus seiner Zeichenfeder. Seine typischen schräg stehenden Türme scheinen aus den Seiten und den Dächern zu wachsen.

Die Füße tragen weiter zum Vitra-Haus, wo verschiedene Häuschen ineinander und aufeinander geschoben zu sein scheinen: das Werk von Herzog & de Meuron aus dem Jahre 2010. 

Von dem Schweizer Architekturbüro stammt auch das Vitra Schaudepot, das 2016 fertig gestellt wurde. In diesem Gebäude aus puristisch rotem Backstein sind nun 400 Schlüsselstücke des modernen Möbeldesigns und teils seltene Exponate der Stuhlgeschichte zu sehen. Denn den Vitra-Inhabern sagt man nach: „die Stuhlgeschichte einmal komplett durchgesammelt“ zu haben.

Riesenrutschbahn mit Ausblick

Folgt man dem öffentlichen Weg einmal quer durch den Campus, lädt eine Turmkonstruktion (mit optionaler Rutschbahn für den Weg runter), der Vitra Slide Tower von Carsten Höller, zum Besteigen ein. Die Belohnung für die vielen Stufen ist ein Panorama über das weitläufige Fabrik- und Ausstellungsgelände.

Avantgardistisches Design

Schon das gemischte Ensemble der Gebäude mit ihren unterschiedlichsten Nutzungskonzepten gibt einen seltenen Einblick: Kunst und Kommerz – oft ein unversöhnlicher Gegensatz, haben hier eine friedliche Koexistenz gefunden. Ausstellungen im Vitra Museum hier, Präsentation der Produkte der Firma Vitra bis hin zur offenen Werkstatt bei der Produktion des weltberühmten Eames Lounge-Chairs von Charles Eames. Alles zusammen, alles Kunst - aber auch die Ausstellung eines verkaufenden Möbelherstellers. Kunst und Funktion sind eng miteinander verzahnt und bilden avantgardistisches Design, was in dieser Dichte selten anzutreffen ist.

Der Vitra-Campus, wie sich das Firmengelände nennt, hat eine einzigartige Entstehungsgeschichte: Es gab hier keinerlei Ausschreibungen, sondern nur gezielte Anfragen an einzelne Architekten. Das Vitra-Gründerpaar Erika und Willi Fehlbaum hat die Baukünstler jeweils persönlich angesprochen und den Bau eines Gebäudes mit definierter Funktion angefragt. So befinden sich die Planer in illustrer Gesellschaft mit der Créme de la Créme der Architekten weltweit. Trotzdem herrscht kein beziehungsloses Nebeneinander, die bestehenden Nachbargebäude werden immer wieder mit in die Neuplanungen einbezogen. Teilweise gab es sogar Absprachen zwischen den Architekten. Zaha Hadid beispielsweise wollte die langen geometrischen Linien ihrer Feuerwehrstation auf den Kamm der umliegenden Berge zeigen lassen. Der Blick dahin blieb für das Gebäude und den Betrachter frei, die Höhen der umliegenden Gebäude wurden entsprechend danach ausgerichtet.

Magie der Miniatur

Nicht unerwähnt bleiben sollte das Konferenzzentrum des Japaners Tadao Ando. Als er zum ersten Mal das Vitra-Gelände betrat, war es Kirschblütenzeit im Frühling - für die japanische Kultur ein Anlass zu Festen und Feiertagen. Das Konferenzzentrum sollte die Kirschbäume nicht dominieren und so wurde es niedrig angelegt, auf das es keinen Baum überrage. Konferenzen, Sitzungen und Meetings sollten hier ein Zuhause haben. Einen Ort zum Nachdenken und Innehalten, der sollte frei von äußeren, störenden Reizen sein. Der Haupteingang gleicht daher eher einem Eingang zu einer Höhle: Ein kleiner dunkler Spalt führt von draußen in die Landschaft aus unterschiedlichen Sitzungssälen. Nichts von einem prunkvollen Entree.

Die Autos der nahe gelegenen Hauptstraße waren wegen der begrenzten Bauhöhe optisch nicht zu tilgen. Sie fahren daher exakt auf einer Mauer entlang, die von innen betrachtet in Augenhöhe endet. Sie wirken daher klein wie Spielzeugautos und profitieren von der Magie der Miniatur. Störende Straßenhektik ist daher fern, trotz des starken Verkehrs auf der Ausfallstraße von Weil am Rhein.

 

Viele dieser architektonischen Spielereien sind zu entdecken und vor allem zu erleben. Ein Besuch auf dem Vitra-Campus im Dreiländereck lohnt sich daher allemal. 

Neben seinen Architekturführungen bietet das Vitra Design Museum auch Produktionsführungen und Ausstellungsführungen an: 
Vitra Design Museum  -  Vitra Campus, Charles-Eames-Str. 2 in 79576 Weil am Rhein

Text & Fotos: Felix Holland | felixholland.de