Schweiz, Berner Oberland: Eine Schifffahrt auf dem Brienzer See eröffnet viele Perspektiven

Von der wahren Schönheit

Was ist der Unterschied zwischen einem Swimming-Pool am Bungalow und dem Brienzer See mit seinen Bergen? Über die Schönheit des Swimming-Pools kann man trefflich streiten, über die Schönheit des Brienzer Sees gibt es keine zwei Meinungen.

Der Alltag auf dem See nutzt die Empfindungen nicht ab

Das gilt auch für Sascha Leitner, Dampfschiffkapitän auf dem Brienzer See: Er ist erst 40 und hat in seinem Alter bereits eine Karriere hinter sich, auf die andere erst kurz vor der Rente verweisen können. Er fährt hier schon seit Jahren als Kapitän auch auf der schwierigsten Schiffsklasse, dem Dampfschiff. Er könnte sich das See-Panorama satt gesehen haben, könnte anderes besser finden. Aber auch er schaut mit versonnenen Augen dem Horizont entgegen, als hätte er ihn zum ersten Mal gesehen. Nein, daran könne er sich nicht satt sehen, „das ist wirklich immer wieder schön“, sagt er.

Ein Privileg, ein Geschenk

Und so holen sich viele Touristen und auch Einheimische eine Tageskarte für die Brienzer Seeschifffahrt und wechseln in den entspannten Bewunderungsmodus, der trotz Alltag immer wieder klar macht: An diesem smaragdgrünen See zu leben ist ein Privileg, ein Geschenk.  

Das Schiff schwebt über der Untersee-Landschaft

In bis zu 261 Metern Höhe schwebt das Schiff über das tiefe mit Wasser gefüllte Tal unter dem Kiel. Oder anders ausgedrückt: Der Brienzer See ist der tiefste in der gesamten Schweiz. Und sehr, sehr sauber! In Zeiten von Plastikmüll in jeglichen Gewässern eine verblüffende Feststellung, wenn Kapitän Sascha Leitner sagt, dass er eigentlich zu sauber sei: Der Nährstoffgehalt, so sagen es auch die zahlreichen Fischer am See, könnte höher sein. Die wirklich einzigartige smaragdgrüne Farbe ergibt sich daraus, dass sich auf dem Seegrund Sedimente dieser Färbung ablagern – verursacht durch das einfließende Gletscherwasser (auch Gletschermilch genannt) aus dem Berg. 

Also: Ablegen und losfahren!

Auf dem Schiff lohnt es sich besonders wieder den Blick zu heben und hoch auf die umliegenden Berge zu schauen. Auf dem Oberdeck gelingt der Überblick besonders gut, nahe an den vorbeiziehenden Giessbach-Wasserfällen oder den malerischen Dörfern, die teils direkt angefahren werden. Aussteigen, spazieren oder wandern gehen, wieder einsteigen. An Bord wieder träumen und die Blicke schweifen lassen. Die Speisen an Bord sind ausgesprochen lecker, die Weinauswahl auf der Karte ist ein Verzeichnis voller Gaumenfreuden. 

In Mintfarben gestrichene Holzplanken

Das Interieur an Bord des Dampfschiffes Lötschberg ist in dezenten Mintfarben gehalten. Die Wände und Böden bestehen aus Holzplanken, ein Zauber von Nostalgie und Romantik liegt in der Luft. Trotz des historisch alten Schiffes sind die Fenster in modernem bodentiefem Stil gehalten. Die Mechanik der gewaltigen Antriebsmaschine ist offen in den Innenraum gebaut, ihre mächtigen Kolben für die Passagiere sichtbar in rhythmischer Bewegung - der man sich langsam hingibt und dabei den Alltag immer mehr hinter sich lässt.

Zeit für bewegtes Erleben

Es wird Zeit sich selbst zu bewegen: Ausstieg in Iseltwald. Die zahlreichen Chalets am Uferrand wetteifern um die Gunst der Betrachter. Aber auch die Häuser, die nicht direkt am See liegen, haben eine charmante Art und Weise die Blicke auf sich zu lenken. Von den Gasthäusern geht eine unprätentiöse Ruhe und Herzlichkeit aus. Heiteres Lachen trägt sich von hier aus über den See. Nach lässiger kulinarischer Pause geht es weiter durch den Ort. Hier bietet sich eine anderthalbstündige und 6,2 Kilometer lange Wanderung von Iseltwald bis zu den Giessbachfällen an. Wir entschließen uns nicht zu wandern und in das nächste Schiff zu steigen: Warum sich mit nur einem Uferstreifen begnügen, wenn man von Bord aus gleich zwei in Augenschein nehmen kann?! – Okay Ausrede, wir wollen wieder zurück in die Ruhe und die träumerische Meditation des Schiffes, das sanft über den See gleitet.   

Rauschende Gischt vom herabstürzenden Wasser

Außerdem macht es was her, sich den Giessbach-Wasserfällen von der Seeseite zu nähern. Schon von weitem ist die rauschende Gischt des über 14 Stufen und 500 Höhenmetern herabstürzenden Wassers zu sehen. Sie kommen langsam immer näher und werden zum tosenden Naturspektakel. Eine historische Standseilbahn – die älteste Europas übrigens – zieht sich daneben den steilen Berg seit 1879 hinauf und herab. Die herabfahrende und die aufsteigende Bahn hängen oben an einer Seilwinde und so muss durch die Motoren nur die Reibung durch die Fahrt wie auf ebener Strecke überwunden werden. Die bergauf fahrende Bahn weicht auf der eingleisigen Strecke an einer Stelle in der Mitte der abfahrenden Bahn aus, bevor sie oben direkt am historischen Schloss-Hotel hält. 

Im Backstage-Bereich des Wasserfalls

Das historische Grandhotel Giessbach hält ob seiner Lage am Berg spektakuläre Ausblicke bereit. Wenige hundert Meter weiter donnern die Giessbachfälle vom Berg: Es ist an einer Stelle möglich, sich unter die Wassermassen zu stellen und sie einem Vorhang gleich aus der Bergperspektive niedergehen zu sehen – und dahinter das Schlosshotel und der weite See. Die Stufen des Wasserfalls haben alle ihren eigenen Charakter und sind alle aus nächster Nähe zu betrachten. Mal von einer Brücke davor, mal „nur“ von der Seite. Die Wanderung rund um das quirlige Wasser bietet unterschiedlichste Perspektiven.

Gelassener Wachtraum an Bord

Zurück an Bord des nächsten herannahenden Schiffes geht es weiter vorbei an den romantischen Dörfern, die sich entlang des Sees aufreihen. Der heitere Blick auf den weiten Horizont lässt auch die Gedanken weit werden. Aber auch die Gegenwart, das hier und jetzt, bleibt spannend: Ausstieg in Brienz oder Interlaken oder eines der vielen anderen Orte am Rande des Brienzer Sees. Sie alle bieten in Berglandschaft gegossene malerische Schönheit.

Die Entdeckungsreise rund um den Brienzer See geht weiter: Mit der Zahnradbahn auf den Rothorngipfel, bei einem Rundgang durch Brienz und zu Besuch im B&B Wyler.

Text & Fotos: Felix Holland | felixholland.de


Informationen zu den Schifffahrten auf dem Brienzer- und Thunersee finden Sie bei der BLS