Schweiz, Berner Oberland: Die Brienz Rothorn-Bahn ist technisch faszinierend und ein zuverlässiges Verkehrsmittel inmitten der Natur

Mit Feuer und Wasser auf den Berggipfel

Feuer und Wasser, Berg und Tal, Tunneldunkel und Sonnenhell, Zisch-Vor und Zisch-Zurück, Panoramablick und Bergwandschick: Die Rothornbahn steht für viele Gegensätze. Sie zu erleben bedeutet die Harmonie zwischen diesen Welten zu erfahren. Das rhythmische Stampfen der Maschinen einerseits und das sanft anschwellende Wind-Rauschen der Natur andererseits. Die Natur gleitet hautnah vorbei an weidenden Kühen und Schafen an bunten Bergblumen und Steilwänden. 

Wie bei Jim Knopf: Lokomotiven mit Seele

Spätestens seit Michael Endes Bücher über „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ wissen wir, dass Lokomotiven eine Seele haben. Die elf Lokomotiven der Brienzer Rothorn-Bahn haben für die Zwiesprache jeweils einen Paten: Im Winter beschäftigen sich die Maschinisten mit einer Revision „ihrer“ Lok. Jedem Techniker ist hierbei eine eigene Lok zugeordnet. Dabei wird alles bis ins kleinste Teil auseinandergenommen, gereinigt, überprüft und wieder zusammengesetzt. Wenn möglich, fährt der gleiche Maschinist eben diese Lok. Eine Zwiesprache, ein Verstehen der Laute und Vibrationen der fahrenden Dampfmaschine ist dabei unumgänglich. Diese Einheit zwischen diesen beiden Wesen aus Stahl und Druck einerseits und Fleisch und Blut andererseits, ist auf der Bergstation zu spüren, wenn der Kessel stillsteht und sein Maschinisten-Pate das Getriebe liebevoll nachölt. Und das alles vor grandiosem Bergpanorama.

Ingenieursleistung aus dem vorletzten Jahrhundert

In Betrieb sind Loks aus drei Generationen, wobei die ältesten Maschinen noch original aus dem Baujahr der Bahntrasse 1891 (siehe auch Infoblock) stammen. Sie fahren noch heute nach mehr als 125jährigem Dienst auf der Strecke, deren Betrieb nur einmal für einige Jahre zwischen 1914 und 1931 aufgrund von Krieg und Krise brach lag. Nach Wiederaufnahme des Fahrbetriebes wurden dann weitere kohlebefeuerte Dampfloks angeschafft. 

Fester Fahrplan, ein zuverlässiges Verkehrsmittel auf den Gipfel

Die Züge fahren im Sommer von Juni bis Oktober. Im Mai und November nur bis zur Mittelstation. Die Zahnradbahn auf den Rothorn-Gipfel ist dabei die einzige in der Schweiz mit täglichem Dampfbetrieb und gilt als Schweizer Kulturgut seit ihrem Start im Jahr 1892. Damals wurde die 7,6 Kilometer lange Strecke in nur 16 Monaten errichtet und war eine ingenieurstechnische Sensation. Seither überwinden die Loks mit ihren 300 PS in nur einer Stunde mit einer Höchstgeschwindigkeit von 9 Stundenkilometern 1678 Höhenmeter, die mit Steigungen von bis zu 25 Prozent aufwarten. 10 Tunnel durchquert der Zug dabei und verheizt bergauf etwa 300 Kilogramm Kohle und verschwitzt 2000 Liter Wasserdampf pro Retourfahrt. Kein Wunder also, dass der Halt in der Mittelstation „Planalp“ zum Auffüllen der Wassertanks genutzt werden muss, um die Weiterfahrt zu gewährleisten. Das Wasser leiten die Lokführer in zwei Kreisläufen einmal auf 205 Grad erhitzt und schließlich mit 420 Grad in die Kolben, die dann den mächtigen Vorschub ermöglichen.  

Rundumsicht auf 693 Gipfel

Oben angekommen, am Rothorn-Gipfel wird der Blick frei auf 693 Berge. Dafür muss der Wanderer von der Bergstation der Rothorn-Bahn noch 15 Minuten den „Edelweißweg“ zum Gipfel gehen und dabei die letzten 100 Höhenmeter emporsteigen. An diesem Aussichtspunkt treffen die Kantone Bern, Luzern und Obwalden zusammen. Seit jeher ist dies ein Ziel für Wanderer, die etwa dreieinhalb Stunden vom See aus bis zum Gipfel gehen. Die Panoramaaussicht zeigt die Alpen der Zentralschweiz mit Pilatus, Rigi und Titlis über die mächtigen Viertausender der Berner Alpen mit Eiger, Mönch und Jungfrau bis hin zum Chasseral im Jura. Und natürlich immer wieder ist der smaragdgrüne Brienzer See sichtbar. Der grandiose Aussichtspunkt ist seit dem Bau der Rothornbahn auch für nicht allzu wanderfeste Touristen mit Weitblick gut erreichbar.

Steinböcke, Steinadler und Berggämse

Die Natur bezaubert gipfelnah. Und wer ein bisschen Geduld und vielleicht auch ein Fernglas mitbringt, der kann seltene Tiere beobachten: Wegen der Nähe zum Jagdbanngebiet Augstmatthorn zeigen sich majestätische Steinböcke, aber auch flinke Berggämse und ebenso Steinadler, die sich im Aufwind des Berges hochschrauben. 

Dem Wanderer bleibt auf dem Weg zum Rothorn-Gipfel die freie Wahl entweder kurze oder längere Touren zu wandern, denn er hat die Auswahl eine oder mehrere Teilstrecken mit der Bahn zu fahren: Das jederzeit mögliche Zusteigen an der Mittelstation macht den Weg skalierbar und damit kalkulierbarer für Hobbywanderer bei eventuell auftretenden Unpässlichkeiten. Oben angekommen können überdies atemberaubende Höhenwanderwege genossen werden.  

Stärken, entspannen, wandern, staunen

Denn ganz oben ist erst der Anfang. Viele Wandertouren und Höhenwanderwege haben hier ihren Startpunkt, Reiselustige ohne Wanderambitionen nehmen unweit des Gipfelbahnhofs die Luftseilbahn nach Sörenberg, die ganzjährig auf die andere Seite des Berges in das Tal führt. Oder sie fahren mit der Bahn einfach wieder runter. Was für die einen die pure Vergnügungstour ist, ist für die anderen ein Arbeitsweg, wenngleich auch ein sehr schöner. Die Hotel- und Gaststättenangestellten nutzen die Infrastruktur auf dem Berggipfel für ihren Weg nach Hause. Oder sie bleiben für die Nacht gleich oben, um gut die Spät- und Frühschicht ohne lange Wege zu erreichen. 

Oben auf dem Gipfel lädt schließlich das Berghaus Rothorn Kulm zum Schlemmen bei erhabener Aussicht ein: 120 Sonnenterrassenplätze und 250 Plätze im Speisesaal mit Fensterfront stehen bereit. Bei einer Übernachtung ist noch mehr drin: abends und frühmorgens zeigt sich bei gutem Wetter ein rotes Sonnenspektakel, welches sich im spektakulären Panorama zeigt.

Wieder zurück am See können wir nun einen Spaziergang durch Brienz machen, einen Tag mit einem Raddampfer auf dem See fahren oder uns ausruhen im B&B Wyler am Rande des Sees. 


Infobox

 

Schneller Gipfelbahnbau, der damals höchste Bahnhof weltweit entsteht

Wie war der Trassenbau im vorletzten Jahrhundert überhaupt zu stemmen? Das Engagement einzelner Personen und eines seit vielen Jahren installierten „Gönnervereins“ haben die Bahn bis heute ermöglicht. Namentlich der deutsche Ingenieur Alexander Lindner war fasziniert von der Idee die (damals) höchst gelegene Bahnstrecke der Welt zu bauen. Seine „Denkschrift zum Projekt einer Eisenbahn aufs Rothorn“ erschien 1890, schon ein Jahr später nach einer eiligst erteilten Konzession durch die eidgenössische Bundesversammlung begannen die Bauarbeiten. Zeitweilig arbeiteten 640 Bauarbeiter an der Strecke. Schon im Oktober 1891 fuhr der erste Materialzug zur Gipfelstation Kulm. Der damals weltweit höchste Bahnhof entsteht daraufhin. Dabei schulterte das enorme unternehmerische Risiko der aus Lenzburg bei Zürich stammende Unternehmer Theodor Bertschinger, denn er wagte es, den Bauauftrag inklusive des Rollmaterials zu einem festen Pauschalpreis zu übernehmen. Die gleiche Bauunternehmung arbeitet noch heute erfolgreich. 

Mit Sanierungsoffensive neue Konzession für den Bahnbetrieb erhalten

Kurz nach ihrem 125jährigen Bestehen im Jahr 2018 wurde der Brienzer Rothornbahn eine Neukonzessionierung auferlegt. Teile der Strecke im oberen gipfelnahen Abschnitt waren seit ihrer Errichtung unverändert geblieben. Da insbesondere im Winter hier viel Schnee liegt und im Sommer der Fahrbetrieb die Strecke voll in Anspruch nimmt, sanierten Bauarbeiter diesen Teil in sommerlicher Nachtarbeit. 

Gewaltige Schneeräumaktionen im Frühjahr

In der Wintersaison ist alles wieder ganz anders: Da ruht der Berg, meist unter gewaltigen Schneemassen. Die sind oben oft nicht bis zum Saisonstart Anfang Juni abgetaut und je nach Winter beginnt eine teils umfangreiche Räumsaison. 2012 war so ein Jahr. Rund 50.000 Tonnen Schnee hatten damals die Schneefräsen der Rothornbahn beseitigt. Das entspricht 50 bis 70 Tausend Kubikmeter der weißen Massen, die die schneeaktiven Mitarbeiter von den Gleisen räumten. Die Aktion dauerte mit der Beseitigung von teils erheblichen Winterschäden an der Strecke knapp zwei Monate. Ein Jahr zuvor dagegen war alles an nur einem Tag erledigt: So unterschiedlich kann es sein. Auf die Frage, warum man nicht einen je nach Wintersaison flexiblen Start wähle, wird Fahrdienstleiter Hanspeter Dütsch zitiert, dass es dann in manchen Jahren bis August dauern könne, bis der Schnee gewichen sei. Die Reparaturen könnten erst anschließend erledigt werden und von daher sei man stets früh im Einsatz das Schneetauen mit Räumungen zu beschleunigen und die Gleise gleich wieder instand zu setzen.   

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